05 Feb Der Phoenix und die Taube
Im letzten Jahr hab ich etwas durchgemacht, so ein Ding halt. Na gut, es war eine ausgewachsene Krise. Eine Freundin sagte vor kurzem zu mir: „Katha, du bist wie ein Phoenix.“ Ich fühlte mich geschmeichelt und stark. Ich war stolz. Wer möchte schon nicht gerne ein mythologischer Vogel sein, etwas Einzigartiges, ein Symbol für das Sich-Neu-Erfinden, das Überwinden von Leid, der Inbegriff von ewigem Leben? Doch jetzt mal ganz ehrlich: Sich selbst zu verbrennen und somit wohl einen der grausamsten und schmerzhaftesten Tode zu sterben, die es so gibt, nur um dann wiedergeboren zu werden in dem Wissen, dass man in fünfhundert Jahren den gleichen Schmerz durchleben wird und dann wieder und wieder, das klingt für mich eher wie das ewige Fegefeuer. Wann begann das eigentlich? Wann hat jemand entschieden, dass der Schmerz Teil des Glücks ist? Und wann habe ich diese Überzeugung erlangt? Mein erster Freund schrieb mir mal einen Brief – wobei einen Brief darf man den Papierschnipsel eigentlich gar nicht nennen – bestehend aus einer einzigen Zeile, deren Inhalt ein Zitat von Adalbert Stifter war: „Der Schmerz ist ein heiliger Engel. Allein durch ihn sind mehr Menschen größer geworden, als aus allen Freuden der Welt.“ Natürlich musste er mir das schreiben, denn er hatte echt eine besonders harte Kindheit gehabt und diese Perspektive auf das Leben half ihm vermutlich, dem Ganzen etwas Gutes abzugewinnen. Und ich, in meiner ziemlich beeinflussbaren Phase des Sich-Verloren-Fühlens gepaart mit dem total verknallten Gehirn eines Teenangers, habe einfach mal für die nächsten 10 Jahre diese Weltanschauung übernommen. Natürlich gehören Schmerz, Trauer, Wut, Eifersucht, Angst, all die vermeintlich destruktiven Emotionen zu uns und zu unserem Leben dazu. Und wie ich gerade vor kurzem in einer Fachzeitschrift für Psychologie ganz treffend las, wird uns durch diese Gefühle oftmals erst bewusst, was wir wirklich begehren. Allerdings sollten wir nicht davon ausgehen, dass wir zunächst etwas Schmerzvolles durchstehen müssen, um uns das Schöne verdient zu haben. Wichtig ist doch, dass wir uns jeden Tag diese kleinen Freude in uns weckenden Momente zugestehen. Ob es nun ein Kompliment von einem Wildfremden ist, ein urkomisches Missgeschick, das uns mal wieder über uns selber lachen lässt oder ein strahlend blauer Himmel.
Fazit: Der Phoenix als Symbol für unendliches Leid mit anschließender Wiedergeburt – als was eigentlich; wieder der gleiche langweilige Vogel? – passt irgendwie nicht so gut zu mir.
Ich bin dann doch lieber eine einfache Stadttaube, die – nachdem sie für kurze Zeit durch ihre eigene Scheiße läuft – wieder über den Dächern irgendeiner bezaubernden Großstadt herumflattert. Ich weiß, die Viecher sind nicht besonders schön und das hektische Geräusch ihres Flügelschlags macht mich ganz kirre. Aber sie sind wenigstens echt, keine Fabelwesen, die die Bürde der Einzigartigkeit und des Außergewöhnlichen tragen. Sie sind unauffällig und würden vermutlich erst durch ihre Nicht-Anwesenheit in einer Großstadt auffallen.
Wir laufen jeden Tag an ihnen vorbei, sie nisten unter den Gleisen der Hochbahn, flattern gelegentlich in öffentliche Gebäude und finden nicht mehr von alleine heraus. Sie versammeln sich auf großen Plätzen und lungern mit Vorliebe in Ein- und Ausfahrten herum, wenn ich da mit meinem Auto gerade lang muss.
Ich rede natürlich nicht von den blütenweißen Tauben, die als Friedensbotschafter oder Glücksbringer für Ehen auf Zeit missbraucht werden. Auch die dressierten Tauben, deren Zweck es ist bezaubernd leidenschaftliche und zu tiefst berührende Liebesbriefe zu überbringen, können keinesfalls als Allegorie meiner Person verwendet werden. Nein, ich bin eine graue Stadttaube, die durchaus von einem rückwärts aus einer Einfahrt fahrenden Auto, das von einer leicht hysterischen jungen Mutter, die ihre siebenjährige Tochter aus dem Auto schickt, um sie zu lotsen, gefahren wird, überfahren werden könnte. Und wenn ich dann wie ein grau roter Fleck auf dem Straßenasphalt klebe, dann findet da keine magische Metamorphose statt. Ich bleibe liegen und verfaule. Wie sich das gehört. Tot ist tot. Denn wie sehr schätzen wir eigentlich ein Leben, wenn es nicht vergänglich ist? Zugegeben die Idee von der Seele, die irgendwo im Universum herumschwirrt und vielleicht sogar noch ein paar weitere Leben in unterschiedlichsten Formen – ich wäre ganz gerne mal ein Leopard – vor sich hat, ist schon verlockend. Aber vorerst gehe ich mal davon aus, dass ich nur dieses eine Leben habe.

Dann kam der Tag. Ich hatte ziemlich spontan entschieden, dass ich mir ein Tattoo stechen lasse. Irgend ein Vogelviech. Frei nach dem Motto: Nach der Krise, wird es Zeit, fliegen zu lernen. Krähen gehen überhaupt nicht. Die sind zu intelligent und vermutlich deshalb so gruselig. Schwalben mochte ich schon als Kind, vor allem wegen ihres unverwechselbaren Flugstils. Natürlich ist dieses Motiv schon ziemlich abgegriffen und ich fing an mich zu fragen, was dieser Vogel eigentlich mit mir zu tun hat. Schwalben sind ziemlich schnell unterwegs und bis heute habe ich sie eigentlich nur in der Luft gesehen. Dann also doch lieber die Taube? Die läuft auch gerne mal seelenruhig über eine Hauptverkehrsstraße, ohne auch nur daran zu denken loszufliegen. Diese Bodenhaftung und Gemütlichkeit mit der Option gelegentlich abzuheben, passt definitiv besser zu mir. Das einzige Problem, so eine Stadttaube auf meinem Fußknöchel sieht echt scheiße aus. Deshalb und nur deshalb habe ich mich letztlich für den Phoenix entschieden. Er macht sich einfach besser an mir.
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